Charlotte
Fügemann
Biografie in
Bildern von 1920
bis 1998
erzählt von
Volker Hornung
Prolog
Hiermit lege ich Ihnen ein Buch vor, welches Ihnen Zeitgeschichte nahebringen möchte. In diesem Fall ist es die Geschichte der Fotografin Charlotte Fügemann. Sie stammte aus Ahlsdorf, einem Dorf im Mansfelder Grund zwischen Eisleben, seit 1947 mit dem Titel „Lutherstadt“ geehrt, und Helbra dem einstmals größten Dorf der DDR, gemessen an der Einwohnerzahl.
Sie wurde 1920 in Ahlsdorf geboren und starb 2008 in Eisleben. Während ihrer langen Schaffensperiode als Fotografin hinterließ sie einen umfangreichen Fundus an Fotografien, Schmalfilmen und Tagebuchaufzeichnungen. Sie gab der Region und ihren Menschen durch ihr Wirken gewissermaßen eine Art von Identität. Die von ihr hinterlassenen Dokumente atmen Zeitgeschichte.
Ihre Tagebuchaufzeichnungen lassen sich nicht trennen von den tatsächlichen Befindlichkeiten jener Zeit von 1933 bis 1945.
Die Aufzeichnungen wurden von mir etwas abgemildert, um auch das Verständnis der heutigen, jungen Generation, die die damalige Lebensweise nicht kennt, zu gewinnen. Diese Aufzeichnungen weiter zu verändern, würde bedeuten, die Geschichte falsch darzustellen. Die meisten jungen Leute von heute können sich gar nicht vorstellen was für ein Trommelfeuer nationalsozialistischer Propaganda unablässig auf die Jugendlichen von damals einprasselte. Immer und überall. Dem konnten sich die Wenigsten entziehen. Wer wissen will wie sich die Menschen damals fühlten, ist auf solche ehrlichen Schilderungen des Alltags angewiesen und darf sie nicht verleugnen nur um dem Zeitgeist von heute zu genügen. Diesen Umstand muß man bedenken wenn man nicht zu falschen Erkenntnissen kommen will.
Es fällt auf, dass die militärischen Siege der Wehrmacht weder in Charlottes Tagebuchaufzeichnungen noch durch Fotos gefeiert werden. Sie werden einfach ignoriert.
Für die Zeit der DDR muß man ähnliche Massstäbe anlegen. Auch hier hat sie ihre Interessen als Mittelständlerin charmant und selbstbewußt vertreten, was ihr die Achtung der Genossen einbrachte, obwohl sie nie Mitglied einer Partei war.
In Fotoreportagen über die Kupferindustrie oder in Ansichtskartenaktionen des Mansfelder Grundes war sie eine Chronistin ihrer Zeit und hat damit Ihrer Heimat trotz Mangelwirtschaft ein Gesicht gegeben, welches wert ist heute wieder gezeigt zu werden. Die Darstellung von Teilen des Tagebuches der Charlotte Fügemann und natürlich auch die in diesem Buch verarbeiteten Teile ihres fotografischen Erbes soll deshalb frei von Ideologie und nur im Sinne der Darstellung von Zeitgeschichte verstanden werden.
Charlotte Fügemann war Zeit ihres Lebens von einem Aufbruchsgeist erfüllt. Sie hat, trotz teilweise ungünstiger Voraussetzungen, mit starkem Willen und hohem Selbstbewusstsein ihr Bestes gegeben. Mittelmaß konnte sie nie zufriedenstellen. Für sie galt der Grundsatz: „Es gibt nichts was nicht durchsetzbar wäre. Wer meint, es geht etwas nicht, muß es aber wenigstens ernsthaft versucht haben. Im Zweifelsfall muß man auch mal neue Wege gehen, auch wenn die viele für unmöglich halten“. Das ist meiner Ansicht nach heute genauso gültig wie damals.
Volker Hornung
Foto: Ahlsdorf, Hauptstraße 1906. Im Hintergrund das elterliche Geschäft.
Die Geschichte wird eingeleitet mit Fotos und Überlieferungen die einen Einblick darüber geben in welche gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Charlotte Fügemann hineingeboren wurde.
Das Deutsche Kaiserreich war untergegangen aber dessen Spuren waren noch überall spürbar. Trotz der Armut die unter weiten Teilen der Bevölkerung herrschte, hingen die meisten Leute auf dem Lande dem untergegangenen System am Anfang der 1920er Jahre noch nach. Sie waren auch unter den Bedingungen der beginnenden Demokratie national eingestellt. Charlotte hingegen gehörte einer Gesellschaftsschicht an, der es gut ging.
Foto: Der stolze Vater 1925 mit seinen 2 Sprösslingen Charlotte und dem kleinen Ernst.
Die familiären Verhältnisse waren denkbar ideal. Charlotte genoss alle Freiheiten. Das prägte sie ein Leben lang.
Foto: Laden und Wohnhaus 1935.
Ein Mittelpunkt im Leben von Ahlsdorf, denn die Familie genoss hohes Ansehen.
Charlotte konnte sich hier gut entwickeln.
Auch das Leben im Dorf während der Weimarer Demokratie wird im vorliegenden Buch ausführlich geschildert.
Foto: „Krieg“ im Dorf (Manöver der Wehrmacht).
Für Interessierte: Eine 3,7 cm PaK (Panzerabwehrkanone). Sie erhielt später im Krieg wegen ihrer geringen Leistungen durch die Geschützbedienungen die ironische Bezeichnung „Panzer-Anklopfgerät“. Im Hintergrund Zugfahrzeug „Krupp-Protze“ mit der Bezeichnung Kfz 69.
In den 1930er Jahren fanden im Dorf einige Herbstmanöver der Wehrmacht statt.
Das waren immer große gesellschaftliche Höhepunkte. Das war alles so gewollt, sollte doch die Verbundenheit der Bevölkerung mit „ihren“ Soldaten fördern.
Die Offiziere waren im Gut untergebracht, die Unteroffiziere bei den Honoratioren des Ortes und die Soldaten schliefen im Schafstall mit den Pferden.
Hier hat Charlotte auch ihre erste Große Liebe getroffen.Das alles wird im Buch durch weitere Fotos, Tagebuchaufzeichnungen von Charlotte und durch meine Kommentare vervollständigt.
Foto: Zeppelin „Graf Zeppelin II“ mit dem Flugpionier Hugo Eckener 1938 zu Besuch über Ahlsdorf.
Die Technikbegeisterung war damals unter der Jugend größer als heute. Deshalb waren alle auf den Beinen um das Schauspiel sich anzusehen.
Foto: „Auf Fahrt“ mit dem BdM. (Charlotte Mitte)
Zur Normalität gehörte es damals sich der Hitlerjugend bzw. dem Bund Deutscher Mädel anzuschließen. Es gab nur Einzelne die sich diesem Rummel entziehen konnten.
Abenteuer und Jugendleben waren inklusive.
Foto: Bauer beim Pflügen. Nachträglich von Charlotte nachkoloriert.
Eine beachtliche Rolle spielte auch im Ahlsdorf der 1930er Jahre die Landwirtschaft, wenn auch nicht die Größte.
Im Buch wird in Bild und Schrift dargestellt wie damals die Landwirtschaft funktionierte.
Charlotte war als Angehörige einer begüterten Gesellschaftsschicht auch oft im Urlaub, zur Kur oder geschäftlich unterwegs.
So z.B. 1939 im Pinzgau (heute Österreich) der damals zum Großdeutschen Reich gehörte, in Berlin, wo sie sich 1942 als Pressefotografin ausgab um in die Ufa-Studios Babelsberg zu gelangen.
Dort traf sie den Drehstab des Films „Münchhausen“, einer der ersten Farbfilme und einige damals bekannte Filmgrößen wie Hans Albers oder Hans Brausewetter und die damals berühmte Regisseurin Leni Riefenstahl, die an ihrem neuen Film „Tiefland“ arbeitete, persönlich. Freuen Sie sich auf die Geschichte.
Des Weiteren war sie in Frankfurt am Main, Salzburg und Kronach.
Während des Krieges durften Privatleute aber nicht so einfach Fernreisen mit der Reichsbahn unternehmen. Dazu brauchte man eine amtliche Genehmigung und Lebensmittelmarken.
Alle Räder rollten schließlich nur für den Sieg und nicht fürs Privatvergnügen!
Mit ihrem Charme hat sie aber auch diese bürokratischen Hürden bezwungen.
Foto: Mehrere US Bomber von der Flak der Kochhütte Helbra abgeschossen.
Foto: Ihr letztes Foto – vor Ahlsdorf gefallen.
Keiner dieser Soldaten hat das Gefecht mit der US-Armee vor Ahlsdorf überlebt.
Der Krieg bedeutete für alle hier lebenden Menschen nicht nur heftige Einschränkungen sondern auch große Opfer. Viele verloren Angehörige und all die Flüchtlinge aus dem Osten auch ihre Heimat.
Trotzdem haben viele, vor allem die von Hitler betrogene Jugend bis zum Tag als die Amerikaner kamen an den „Endsieg“ durch die von ihnen ersehnten „Wunderwaffen“ geglaubt.
Dies alles wird im Buch anschaulich und gefühlsbetont geschildert.
Foto: Der Krieg ist vorbei (US-Panzer vor dem Haus).
Der Wille neu anzufangen war aber ungebrochen.
Viele Widerstände waren zu überwinden.
Charlotte, ihr Bruder und ihre Mutter haben es auch ohne den Vater geschafft, der im sowjetischen Straflager Nummer 1 in Mühlberg an der Elbe gestorben ist, sich eine neue Existenz aufzubauen.
Das Geschäft war dabei sicherlich hilfreich.
Sie hat sich einen berufliche Laufbahn als selbständige Fotografin und sich so einen guten Ruf, sowohl bei den herrschenden Genossen als auch bei der Bevölkerung aufgebaut.
Foto: Als NBI-Korrespondentin
U.a. war sie als Foto-Korrespondentin der „Neuen Berliner Illustrierten“ ab April 1959 im Mansfelder Land und im Mansfeldkombinat unterwegs.
Dieser Abschnitt wird im Buch auch ausführlich beschrieben.
Foto: Hier um 1960 vor Ort im Thälmannschacht.
In den 1950er Jahren stand sie wegen der Ausgestaltung einer Ausstellung zum 300. Geburtstag des Rechtsgelehrten und Philosophen Christian Thomasius mit der Direktorin der Juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle/Saale, Frau Prof. Gertrud Schubart-Fikentscher in Verbindung. Dazu auch mehr im Buch.
Foto: Pfingsttanz in Ahlsdorf das traditionelle Volksfest zu Austreibung des Winters.
Eine dokumentarische Erklärung dieses Volksfest von 1950 bis 1990 wäre ohne ihre zahlreichen Fotos im Buch nicht darstellbar.
Foto: 1969 Hochwasser nach Starkregen in Ahlsdorfs Hauptstraße.
Die Dokumentation von Naturkatastrophen sowie alle Ansichtskarten von 1950 bis 1989 im Buch stammen aus dem Fotoapparat von Charlotte Fügemann.
Foto: Öffentliche Ehrung (Charlotte ganz links) für hervorragende Mitarbeit im Wettbewerb „Schöner unsere Städte und Gemeinden-Mach mit“.
Sie wurde in diesem Rahmen mehrfach ausgezeichnet. U.a. auch beim Aufbau des Ahlsdorfer Kulturhauses.
Foto: Richtfest 1976
Es war bekanntlich schwierig in der DDR ein Haus zu bauen. Auch hier hat sie sich nicht gescheut es gegen Material- und Arbeitskräftemangel und Behördenwillkür zu wagen und durchzuziehen.
Charlotte Fügemann hat die Gleichberechtigung von Frauen nicht erfunden. Sie hat auch nicht besonders dafür gekämpft.
Sie hat die Gleichberechtigung einfach nur gelebt als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt.
Foto: „Der einsame Trommler“.
Als Fotografin hatte sie ein außergewöhnliches Gefühl für die Situation. In diesem Zusammenhang sind auch eine Reihe zauberhafter Kinderfotos erhalten. Im Buch können Sie sie betrachten.
Foto: Lottchen bei den Schulkindern. (Zeitungsausschnitt aus der „BILDWOCHE“ Mai 1998)
Obwohl sie keine Kinder hatte konnte sie mit ihnen gut umgehen. Sie erzählte im vorgerückten Alter gerne selbst erdachte Geschichten vor Schülern der Grundschule im Unterricht.
Foto: Mittendrin
(Epilog letzte Umschlagseite)
88 Jahre Geschichte des Mansfelder Landes mit ihren Höhen und Tiefen erzählt diese Biografie. Eine wunderbar lebendige Geschichte voller Charme und Intelligenz. Es soll mit dem Lebensweg von Charlotte Fügemann auch von der Liebenswürdigkeit und der Tatkraft der Menschen im Mansfeldischen berichtet werden.
In manchen zeitgenössischen Büchern, Fernsehdokumentationen und Zeitungsartikeln wurde ihnen aus Unkenntnis oder Ignoranz unrecht getan. Hinzu kommt, dass das Schicksal in neuerer Zeit es mit ihnen nicht gerade gut meint.
Dieses Buch erzählt die wahre Geschichte einer selbstbewußten Fotografin.
Sie ist durchaus als Beispiel geeignet, auch unseren westdeutschen Mitbürgern und den nach der Wende Geborenen zu zeigen, daß es im „Real existierenden Sozialismus“ nicht nur gläubige Kommunisten, Angepasste, Widerständler oder Stasispitzel gab. Auch jemand wie Charlotte Fügemann als Angehörige des, wie es heute heißt, Mittelstandes konnte sich mit außerordentlichem Selbstbewusstsein, intelligentem Charme und festem Standpunkt ihre relative Freiheit sichern, ohne dass die Mitgliedschaft weder in der allgegenwärtigen „Arbeiterpartei“ noch in einer anderen nötig war. Das Leben in der DDR war also nicht nur trist sondern entgegen manchem Klischee auch lebenswert.
Ein Lehrbeispiel für alle alten und neuen Bundesbürger wie Geschichte im Osten auch funktioniert hat. Sicherlich nicht nur in diesem Fall.